Prognosegüte für FEM-Simulationen steigern – Faserausrichtung in der Simulation berücksichtigt

Martin Züger von unserem Partner, der pinPlus AG in Bern hat eine Fallstudie zur Digimat-Software erstellt und uns für unseren Erfahrungsbrief zur Verfügung gestellt.
Das Thema sind Steifigkeitsberechnungen an kurzfaserverstärkten Kunststoffteilen – in diesem Beispiel aus PBT mit 30% Glasfaser mit Berücksichtigung der Faserorientierung.

1 Vorab ein Blick auf faserverstärkte Kunststoffe

Die gängigen Thermoplaste können mit Fasern, meistens Glasfasern verstärkt werden:
Beispielsweise PP (Polypropylen), PA (Polyamid), PEEK (Polyetheretherketon), PET (Polyethylenterephthalat) usw. Die Faserverstärkung wird verwendet, wenn erhöhte Festigkeit oder Steifigkeit erforderlich ist.
Die oben genannten Thermoplaste werden nicht ausschliesslich im Spritzgussverfahren verarbeitet. Dem Granulat des Grundwerkstoffs (Matrix) werden Kurzglasfasern (Länge im Zehntel–Millimeter–Bereich) oder Langglasfasern (1–2mm Länge typisch für das Spritzgiessen) beigemischt. Je nach Anforderungen kann der Volumenanteil geringer oder höher spezifiziert werden.
PA6GF30 ist z.B. ein „normales“ Polyamid 6 mit 30% Volumenanteil Glasfasern. Der Hauptvorteil der Faserverstärkung besteht darin, dass die positiven Aspekte der Spritzgusstechnik (u.A. wirtschaftliche Herstellung grosser Stückzahlen von Bauteilen mit komplexer Geometrie) kombiniert werden können mit der hohen Steifigkeit der Glasfasern (E-Modul ca. 20-30 mal höher als jener des Matrixmaterials wie z.B. PA) und dadurch auch hoch beanspruchte Teile mit dem Spritzgussverfahren hergestellt werden können. Früher musste anstelle dessen häufig z.B. Aluminiumdruckguss verwendet werden. Die Substitution von Metall durch Kunststoff wird dadurch teilweise erst ermöglicht. Ein Trend welcher aus der Automobilindustrie kommt, jedoch auch alle andern Industriebereiche erfasst. Im Flugzeugbau oder im allg. Leichtbau werden faserverstärkte Kunststoffe ebenfalls immer häufiger verwendet, jedoch in anderen Prozessen verarbeitet.
Der Hauptvorteil eine Faserverstärkung im Spritzgussprozess zu erzeugen, führt auch zu den Hauptnachteilen. Die Lage der Fasern in den Bauteilen lässt sich nur schlecht beeinflussen; durch die Fliessprozesse wird sich ein Grossteil der Fasern in Flussrichtung orientieren. D.h. dass wenig Fasern quer zur Flussrichtung liegen. Daraus folgt, dass der Verbund mechanisch nicht isotrop (= gleiche Steifigkeitseigenschaften in alle Raumrichtungen; siehe auch nächster Abschnitt), sondern anisotrop ist, d.h. in Abhängigkeit der Raumrichtung unterschiedliche Steifigkeitseigenschaften aufweist. Zudem ist das „Gemisch“ von Materialien auch für das Versagensverhalten von Bedeutung.
Möglich sind dann Faserbrüche, Matrixbrüche und Faserenthaftungen (die Fasern rutschen aus der Matrix) – und dies aus der Kombination von Lasteinwirkungsrichtung und tatsächlich lokal vorhandenen Materialeigenschaften des Fasern–Matrix–Verbundes.
Die erhöhte Komplexität des Materials erhöht auch die Komplexität in der Berechnung.

2 Erklärung Isotropie

Anspritzpunkt

 

 

Die Abhängigkeiten von Materialeigenschaften unter Berücksichtigung der Faserstruktur bzw. der Faserausrichtung.
Messwerte auf Datenblättern werden an gespritzten Probekörpern erfasst. Auf Grund der Geometrie der Probekörper liegt der Grossteil der Fasern in Zugrichtung, sodass die gemessenen Werte (Zugsfestigkeit, E-Modul etc.) einem weitgehend idealen Zustand entsprechen, welcher in realen Bauteilen kaum oder nur stellenweise anzutreffen ist.
Die Festigkeit von PA6GF30 erreicht quer zur Faserrichtung Werte von knapp 60% der Werte in Faserrichtung. Hinsichtlich Steifigkeit sind die Unterschiede noch grösser.

Das bedeutet, dass man bei Verwendung der Werte aus den Zugversuchen mit Kenngrössen rechnet, welche in einem üblichen Spritzgussteil bestenfalls an einigen Stellen in dieser Güte anzutreffen sind, an anderen Orten im Kraftfluss jedoch viel kleinere Steifigkeiten und Festigkeiten vorliegen.

3 Berechnungen

Und nun kommen wir zur eigentlichen Berechnung und zu den softwareunterstützten Möglichkeiten.
Die Software Digimat ermöglicht eine Berücksichtigung der Faserverläufe, bzw. -ausrichtungen und die sich daraus ergebende Flexibilität oder je nachdem Steifigkeit! Die meisten FEM-Programme ermöglichen die Definition anisotroper Materialeigenschaften, was bei kontrolliertem Einlegen von Geweben etc. bei zu erzeugenden Bauteilen (CFK- und GFK-Strukturen im Flugzeug- und Fahrzeugbau) schon eine gute Simulation des Verhaltens ermöglicht, weil die Faserorientierung im Bauteil aus dem Produktionsprozess einigermassen klar ist. Wie erwähnt, ist bei einem Spritzgussbauteil nicht bekannt, wie die Fasern orientiert sind. Und falls man (z.B. durch CT-Scan oder Flusssimulationen) Kenntnis der lokalen Faserorientierungen hat, ist es eine sehr aufwendige „Bastelei“, diese Orientierungen manuell in ein FE-Modell einzubauen. Zudem ist die Fehlerquote bei diesem Vorgehen sehr hoch. Digimat ermöglicht das „Mapping“ der Faserorientierung aus der Spritzgusssimulation mit Moldflow, Moldex, Cadmould oder vergleichbaren Simulationswerkzeugen auf FE-Solver wie z.B. MSC.Marc, MSC.Nastran, LS-Dyna oder ABAQUS. Die Berechnung berücksichtigt dabei (wie auch bei der Spritzgusssimulation) nicht jede einzelne Faser, sondern arbeitet mit sogenannten homogenisierten Materialdaten, welche die Ersatzsteifigkeit für einen bestimmten Ort mit genügender Genauigkeit abbilden kann.
Digimat dient damit als Bindeglied zwischen der Spritzgusssimulation, mit welcher die Faserausrichtung rechnerisch ermittelt wird und der FE-Simulation, bei welcher dank der Verwendung von Digimat nun die lokalen, anisotropen Bauteilsteifigkeiten in Folge der Faserrichtung berücksichtigt werden können.
Wenn Bauteile nur nach dem Datenblatt der Materialeigenschaften entwickelt werden ist die Erfahrung, dass das gewünschte Ergebnis nicht zufriedenstellend ist – wieviel näher kommt man an das gewünschte Ergebnis, wenn man die (An-)Isotropie berücksichtigt und in die Berechnungen einschliessen kann?
Die Erfahrung zeigt, dass Deformationen bei isotroper Simulation rechnerisch stark unterschätzt werden. 50% -100% Abweichung auf die unsichere Seite sind typisch. Durch die Veränderung der Steifigkeit ändern sich auch die Stellen wo die grössten Dehnungen auftreten und damit auch die Lage der max. Spannungen. Dies bedeutet, dass die Ergebnisse nicht nur quantitativ ungenau, sondern auch qualitativ schlicht falsch sein können, weil die Spannungsverteilung nicht korrekt widergegeben werden kann.
Die Herangehensweisen bisher waren umständlich, aufwändig und nicht unbedingt zielführend: Man kann den E-Modul bei einer isotropen Berechnung um einen gewissen Faktor reduzieren. Eine verbindliche Nachweisrechnung lässt sich damit jedoch nicht erstellen, da ein „Phantasie-Faktor“ niemals experimentell belegt werden kann. Bei eindeutigen Faserlagen kann man mit anisotropen Materialmodellen in Kombination mit der manuellen Definition von Faserorientierungen etwas versuchen. Mit Bauteilmessungen kann man zudem das Simulationsmodell nachträglich „tunen“, doch dieses „Hinterherrechnen“ ist selten zielführend, da im nächsten Projekt ja sehr vieles wieder anders ist und die Erfahrungswerte deshalb nicht so wertvoll sind.

4 Fazit

Als Fazit kann man also sagen, dass Digimat eine sinnvolle Ergänzung zur herkömmlichen Entwickler-Software ist, die sich lohnt. Die Erfahrungen mit Digimat zeigen, dass die Prognosegüte der FE-Simulationen erheblich zunimmt. Bauteile mit tragenden Funktionen können durch die Kopplung von Spritzgusssimulation mit der FE-Simulation (Digimat ist das Bindeglied dazwischen) viel zuverlässiger berechnet werden, ohne dass der Berechnungsaufwand stark zunimmt. Eine Anschaffung von Digimat ist dann sinnvoll, wenn eine professionelle Berechnungsinfrastruktur und entsprechende Erfahrung im Umgang mit den Standard FE-Programmen vorliegt. Digimat unterstützt keine in die CAD-Systeme direkt integrierten FEM-Lösungen, sodass sich für diese Analysen die Zusammenarbeit mit einem spezialisierten Berechnungspartner anbietet.

5 Zur Fallstudie

5.1 Ausgangslage, Vorgehen

  • Berechnung des Bauteils mit isotropen Daten nach Datenblatt, linear elastisch.
    Ermittelte Durchbiegungen sind verglichen mit den Praxis-Erfahrungen zu klein.
  • Dank Moldflow-Simulationen (Moldflow insight) stehen Faserorientierungen zur
    Verfügung welche mit Digimat auf das bestehende Modell gemappt wurden.
  • Die Digimat-Berechnung für das Bauteil erfolgte am vollständigen Baugruppenmodell, inkl. vorgespannten Schrauben, O-Ring.

Das Baugruppenmodell umfasst beide Gehäusehälften, wovon das Oberteil kritisch ist. Das Ganze ist ein Gehäuse unter Innendruck. Zusätzlich sind vorgespannte Schrauben sowie ein O-Ring mit hyperelastischem, nichtlinearem Materialverhalten im Simulationsmodell enthalten. An ersten Prototypen wurde vom Kunden eine grosse Abweichung zwischen mit linear isotroper FEM berechneter und tatsächlich gemessener Durchbiegung des Gehäuseoberteils festgestellt. Eine Berechnung mit Digimat konnte dann die Messwerte mit guter Genauigkeit abbilden. Auf Grund der Berechnungsergebnisse kann das Bauteil nun optimal gestaltet werden. Die Abweichung zwischen linearer Berechnung (ohne Digimat) und Simulation mit Digimat beträgt 60-90%. D.h. die Verformung wird mit den (noch) üblicherweise verwendeten Tools sehr stark unterschätzt. Mit den Ergebnissen aus Digimat konnten die am Bauteil gemessenen Verformungen und dessen Verhalten bei der Simulation eines Berstversuchs bis zum Versagen der Dichtung gut re-produziert werden.

Bild 1: Mapping der Faserorientierung aus Moldflow:
Von Moldflow (rechts) auf Marc (links) gemappt. Die Bauteilorientierung von Moldflow (Part-Koordinatensystem) auf Marc-Modell (Baugruppen–Koordinatensystem) wird innerhalb Digimat angepasst.

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Bild 2: Ergebnisvergleich isotrope Berechnung ↔ anisotrope Digimat-Berechnung
Z-Verschiebung, nominaler Innendruck (gleiche Skala), je nach Lage Auslenkung +60% bis +90% bei anisotroper Berechnung

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Bild 3: Ergebnisvergleich isotrope Berechnung ↔ anisotrope Digimat-Berechnung

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Bild 4: Ergebnisvergleich isotrope Berechnung ↔ anisotrope Digimat-Berechnung

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Bild 5: Ergebnisvergleich isotrope Berechnung ↔ anisotrope Digimat-Berechnung

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Bild 6: Ergebnisvergleich isotrope Berechnung ↔ anisotrope Digimat-Berechnung

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Der Autor:

Martin Züger ist zuständig für Produktinnovation und Engineering bei der pinPlus AG in Bern. Diesem Bericht liegt die von ihm durchgeführte Digimat Case Study zugrunde.
Wir bedanken uns herzlich für diesen Beitrag.

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